Rezension zu „Jeannette. Ein Hurenbericht.” von Maren Lasky. Erschienen im Januar 1991, Ullstein Verlag. 255 Seiten.

Beschreibung:
Authentische Biografie einer Hure. Kleines Taschenbuch im typischen Format und Typografie der 90er; mit Glossar im Anhang. Nur noch gebraucht erhältlich.

Einleitung:
Die Message dieses Buches gleicht sich fast mit meiner vorherigen Rezension zu „Ich bin Sexarbeiterin“. Darin wurde gefordert, weniger ÜBER Huren, sondern MIT ihnen zu reden.
Bereits 30 Jahre zuvor titelte Maren Lasky, dass viele Menschen meinen alles über Huren zu wissen, doch die Frauen selbst sprechen nie. Dann brach Maren Lasky mit diesem Tabu und veröffentlichte ihren authentischen Lebensbericht einer Hure: Den „Hurenbericht“.
Darin schildert sie ihr Leben als Jeannette, einer Frau, die als Hure gearbeitet und gelebt hat. Für damalige Zeiten sicherlich eine Sensation und ein Schritt der sehr viel Mut und Stärke abverlangt.

Inhalt:
Jeannette fing relativ bald nach ihrem Schulabschluss an als Hure zu arbeiten, als sie entsprechende Kreise kennenlernte. Zu ihren Eltern hatte sie nie ein gutes Verhältnis und auch ihr anfangs begonnener Bürojob wurde ihr bald lästig. Sexarbeit bedeutete für sie Freiheit – mit allen Vor- & Nachteilen.
Insgeheim jedoch war Jeanette immer auf der Suche nach Liebe – und diese Suche mit all ihren Irrungen und Wirrungen zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch.

Wird Jeannette es im Verlauf des Buches schaffen, sich von den für sie ungünstigen Beziehungskonstellationen zu lösen und wie wird die Suche nach Liebe für sie ausgehen?

Fazit:
Das Buch ist ein authentisches Zeitzeugnis über Sexarbeit in den 80er/90er Jahren, wann genau wird nicht erwähnt.
Das meiste des Inhalts ist heutzutage Vergangenheit und findet man so nicht mehr wieder. Angefangen bei Kontaktanzeigen in Zeitungen, der Terminvereinbarung mit Schnurtelefonen und Anrufbeantwortern, bis hin zum wöchentlich auszustellendem Bockschein. Nicht zu vergessen die damaligen „Kontakthöfe“ samt den gut aussehenden, mit Goldketten behangenen, damals deutschen Zuhältern der Frauen.

Der Sprachstil ist sehr angenehm, flüssig, spannend, lesenswert und oft mit verstecktem Witz und Charme. Oftmals trifft die Autorin auch sehr kluge Aussagen und teilt gute Beobachtungen über ihre Arbeit.

Mein persönliches Fazit:
Lange habe ich überlegt, ob ich zu diesem Buch wirklich eine Rezension schreiben möchte und ob diese dem gerecht werden kann, was ich für das Buch empfinde?

Für mich zählt das Buch zu den besten unter meinen mehreren Dutzend Rotlicht-Büchern die ich habe. Ich musste mich zwingen, nicht alles in einem Rutsch durchzulesen, da ich das Buch und den Flair möglichst lange genießen wollte.

Was fasziniert mich so an dem Buch?
Wahrscheinlich die Tatsache, dass es sich wirklich um ein unwiederbringliches Zeitzeugnis des damaligen Milieus handelt. Die Buchseiten sind vergilbt, das Papier riecht alt, die Geschichte ist in großen Teilen aus der Zeit gekommen, aber trotzdem ist das Buch irgendwie noch aktuell, da das Sexgewerbe niemals ausstirbt…
Und vor dieser Tatsache, dass es Sexarbeit schon immer gab, kommt einem das Leben nicht mehr so endlich vor.
Ich wünschte, ich hätte diese Zeit als Hure, ohne Internet und mit D-Mark, auch miterlebt, daher versuche ich, durch dieses Buch so viel wie möglich über die damalige Zeit zu erfahren.

Der Schreibstil gefällt mir wirklich sehr gut, obwohl ich normalerweise die Ich-Perspektive nicht so mag, aber hier versteht die Autorin ihr Handwerk perfekt.
Für die damalige Zeit ist es teilweise auch derb geschrieben – wirklich sehr mutig dieses Buch 1991 zu veröffentlichen. Zitat S. 202:
„Sie (Anm.: die Kollegin) war jetzt öfter schlecht gelaunt. >>Alles<< nervte sie. Sie wollte und brauchte einen richtigen Zuhälter. Einen, der auf sie aufpaßte und sie kontrollierte. Der sie zur Arbeit anhielt und sie wichtig nahm. Oder zumindestens dafür sorgte, daß sie sich wichtig fühlte. Kurz, einen, der sie fickt und ihrem Leben einen Sinn gibt.“
Das Glossar im Anhang ist natürlich auch veraltet, aber es passt in das Gesamtkonzept. Herzhaft lachen musste ich über den „Pufflatscher“ – den gibt es auch heute noch! Zitat, S. 254:
„Pufflatscher: Freier, die wie unter Zwang regelmäßig Bordelle besuchen, um die Huren anzusehen, nicht, um ihre Dienste in Anspruch zu nehmen.“
Auch habe ich etwas dazu gelernt: „Solide“ ist im Milieu kein positives Wort für eine bodenständige Person, sondern meist eine abfällige Bezeichnung für normale Frauen außerhalb des Rotlichts, die unseren Beruf nicht nachvollziehen können und oftmals uns ihre Abneigung ebenso spüren lassen, da sie insgeheim wissen, dass ihre Männer mit uns mehr Spaß haben…

Nicht alle Ansichten über Männer und den Beruf kann ich teilen, ich denke da eher entgegengesetzt und stehe Männern im allgemeinen und meinen Gästen immer sehr wohlwollend gegenüber. Beispielsweise, dass die Pufftür mit einem energischen Knall zufallen muss, damit die Freier das Gefühl haben, sie können wirklich nicht mehr zurück… Warum?
Ich für meinen Fall freue mich immer sehr über Stammgäste, die immer wieder kommen… Aber dies alles entspricht wahrscheinlich dem damaligen Zeitgeist – damals war es auch üblich „eine Falle zu schieben“.

Auch konnte ich Ihre Entscheidungen für ihre jeweiligen Lebenspartner nicht immer nachvollziehen. Dennoch konnte ich mich in einigen Aussagen wieder erkennen und mich sehr gut in die Autorin einfühlen.

Das Besondere an dem Buch ist ebenfalls, dass die Autorin nicht mit der Sexarbeit angefangen hat um anschließend ein Buch darüber zu schreiben (verglichen Buch XY – geheim) oder nach ihrem Ausstieg ein Buch geschrieben hat, mit dem Zweck noch möglichst viel Geld zu verdienen (verglichen Buch XY – geheim) – nein.
Man merkt, dass das Buch nicht aus Eigennutz geschrieben wurde, sondern weil die Autorin dringend ihre Geschichte erzählen wollte und das hat sie sehr gekonnt gemacht.

Abschließend würde mich sehr interessieren, ob ihre Geschichte eine Fortsetzung hat – in der Autorenbeschreibung schließt Maren Lasky eine „Rückkehr in den Beruf“ nicht aus …